Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU

Zumindest eine Schlacht scheint der Populismus in Deutschland tatsächlich verloren zu haben: die Schlacht um die alte bayerische Staatspartei CSU. Zu diesem Ergebnis kann man gelangen, wenn man sieht, wo die Partei heute steht, und sich dann noch einmal ihre Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren und speziell in den Sommermonaten 2018 vor Augen führt. Sicher: Da war der Ärger mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, die plausible Sorge vor Stimmverlusten an die AfD, die nachvollziehbare Nervosität, es könne auch der stabilsten Volkspartei Europas bald der Boden unter den Füßen weggerissen werden – deswegen die demonstrativen Absetzbewegungen von der Bundesregierung und die zum Teil persönlichen Angriffe gegen Angela Merkel.

Ein tiefer Schluck

Es mögen also überwiegend Panikattacken gewesen sein, die die CSU zeitweilig durch die politische Landschaft irrlichtern ließen. Doch so ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass zumindest Teile der Parteispitze auch aus Überzeugung einen tiefen Schluck aus dem Populismustrank genommen haben. Zu verlockend war es möglicherweise, das Bündnis mit dem brodelnden Teil des Volkes zu suchen und sich dabei nicht von den Normen und Konventionen einer bundesrepublikanischen Altpartei aufhalten zu lassen. Zu groß wohl auch der Drang des bayerischen Ministerpräsidenten, den großkoalitionären Konsens aufzukündigen und zu demonstrieren, dass von München aus eine ganz andere, quasi systemsprengende Politik gemacht werden könne, im Einklang mit dem Volk natürlich. Deswegen die Miniaturstaatsbesuche im Kreml mit demonstrativer Ergebenheitsadresse an den russischen Präsidenten, die Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten zur CSU-Klausur, dann im Sommer 2018 die verschwurbelte Infragestellung des Multilateralismus durch Söder und sein hässliches Wort vom „Asyltourismus“. Von der zerstörerischen Wirkung solcher Handlungen und solcher Rhetorik kann eine ganz eigene Dynamik ausgehen, die in diesem Fall (wegen einer symbolisch aufgeladenen Frage ohne praktische Relevanz) beinahe das Bündnis zwischen den Unionsparteien und zugleich die Große Koalition gesprengt hätte.

Pro-Europa

Frühjahr 2019: Die Partei zieht in den Europawahlkampf mit einem Spitzenkandidaten, der ein bekennender Anhänger eines vereinigten Europas ist und im Zweifel mehr, nicht weniger Europa möchte. Das Bündnis mit Fidesz innerhalb der Europäischen Volkspartei wird zunehmend auch von der CSU in Frage gestellt. Der bayerische Ministerpräsident musste schon während des Wahlkampfes kleinmütig versprechen, dass er manches diffamierende Wort (Asyltourismus) nicht mehr verwenden werde. Nach seinem mit zwei blauen Augen errungenen „Wahlsieg“ vom Herbst 2018 lassen alle seine Äußerungen vermuten, dass er dieses Kapitel als abgeschlossen ansieht. Was von Horst Seehofer noch kommt, weiß man nicht, aber die Autorität, den Kurs der Partei maßgeblich zu bestimmen, hat er längst verloren.

Keine Neigungen

Ist also das Thema „CSU und Rechtspopulismus“ endgültig beendet? Oder ist es nie ein wirkliches Thema gewesen, weil die Partei zwar laut gepoltert hat, im Endeffekt aber nie wirklich das Ziel hatte, ihre Identität so weit zu verändern, dass sie sich dauerhaft mit einem Bein im Orban- und Strache-Lager wiederfindet? Formulieren wir es allgemeiner: Einerseits haben die letzten fünf Jahre gezeigt, dass es in Deutschland ein ausreichend großes Wählerpotenzial für eine rechtspopulistische Partei gibt, die in Gestalt der AfD wohl auch auf absehbare Zeit in unseren Parlamenten vertreten sein wird. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat gerade ergeben, dass sogar ein knappes Drittel der Bevölkerung zum Populismus tendiert. Andererseits ist eine große Mehrheit des Volkes offenbar nicht bereit, den etablierten Parteien Ausflüge in den Populismus zu gestatten, und auch die Parteien selbst – bzw. ihre Mitglieder – zeigen hierzu keine Neigung (mehr). Die CSU hat ihre Lektion begriffen, die FDP der (gar nicht so kleinen) populistischen Versuchung dauerhaft widerstanden, die CDU musste zwar etwas Merkel-Ballast von sich werfen, aber einen Rechtsruck unter AKK, der ohnehin nicht unweigerlich mit einem Zugeständnis an den Populismus gleichzusetzen wäre, ist nicht zu erwarten.

Mit anderen Worten: Die Demarkationslinien der etablierten Parteien zum Rechtspopulismus und speziell zur AfD sind derzeit so kräftig wie vielleicht noch nie in den letzten Jahren – eine Folge nicht nur der sich anhaltenden Radikalisierung der AfD. Diese Demarkationslinien haben auch ihre Tücken, denn sollten sie zu eng gezogen werden, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, droht eine neuerliche Repräsentationslücke, die – egal ob sie von der AfD gefüllt wird oder nicht – zu einer weiteren Abkehr von den etablierten Parteien führen kann. Doch einstweilen lässt sich positiv sagen: Die in Deutschland regierenden Kräfte (Bund und Land) scheinen – bei all ihren Mängeln – im Augenblick weitgehend immun gegen Populismustendenzen zu sein und erst recht gegen jede Neigung, mit den Populisten zu kooperieren. Schaut man nach Italien, Großbritannien, Österreich oder auch Spanien ist das gar keine so schlechte Erkenntnis.

Foto: en.kremlin.ru

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