Nahles kämpft

Ich muss zugeben: So unausstehlich finde ich Andrea Nahles gar nicht. Genauer gesagt finde ich sie überhaupt nicht unausstehlich, sondern bringe ihr sogar einige Sympathien entgegen. Mir ist schon klar: Wenn man kein eingeschworener Sozialdemokrat ist, dann ist dies in den Augen vieler Menschen eine ziemlich unorthodoxe und absolut irritierende Sichtweise. Bislang bin ich kaum jemandem begegnet, der bei ihrem Namen nicht das Gesicht verzogen hätte. Ende letzten Jahres wurde ich kurzzeitig schwach und habe einem Freund gesagt, dass auch ich sie, Nahles, inzwischen ziemlich unerträglich finde. Richtig begründen konnte ich es allerdings nicht. Es war ja auch gar nicht die Wahrheit. 

Mal aus dem Rahmen fallen

Natürlich ist mir nicht jede Andrea Nahles sympathisch. Sobald die heute-show noch einmal ihre Pippi-Langstrumpf-Gesangseinlage im Bundestag aus dem Archiv holt, ihre Bätschi-Bätschi-Nummer oder ihre „Rot-Rot-Rot!“-Horrorshow aus dem letzten Sommer, schaue ich betreten weg. Es tut dann richtiggehend weh, dieser Andrea Nahles zuschauen zu müssen. Andererseits: Wünschen wir uns nicht alle Politiker, die auch einmal aus dem Rahmen fallen? Gut, man kann es vielleicht anders machen, als Nahles es gemacht hat. Aber dass man einfach mal keinen Bock mehr darauf hat, immer und überall den kontrollierten Polit-Profi zu markieren, leuchtet ja schon irgendwie ein.

Keine Schaumschlägerin

Und dann bin ich schon bei der Nahles, die mir sympathisch ist und die ich ohne weiteres zu den zwei, drei fähigsten Politikern in diesem Lande zählen würde. Es ist die Andreas Nahles, die ihre Leidenschaft für das Politische im allgemeinen und für die SPD im Besonderen nicht verbergen möchte, die etwas Unerschütterliches an sich hat, und die doch – inzwischen jedenfalls – fair und ohne übertriebenen Beißreflex mit dem politischen Gegner umgehen kann. Es ist die Andrea Nahles, die bereit ist, den Kampf aufzunehmen, Schlachten zu schlagen, die aber keine Schaumschlägerin ist, sondern der auch der letzte bzw. gegenwärtige Koalitionspartner attestiert hat, eine überaus fähige Ministerin gewesen zu sein. 

Beispiel Maybritt Illner, letzte Woche: Andrea Nahles, wenige Tage nachdem die SPD und sie höchstpersönlich das neue Sozialstaatskonzept der Öffentlichkeit vorgestellt hat, in einer Runde mit Christian Lindner, Katja Kipping und zwei Journalisten, einer davon der unvermeidliche Robin Alexander. Während Katja Kipping sich wieder selbst darin überbot, eine überraschungsfreie Phrase nach der anderen zu liefern, haben sich Lindner und Nahles einen interessanten Schlagabtausch geliefert, ohne Polemik, ohne leeres Gerede, mit der richtigen Dosis aus Überzeugung und Inhaltlichkeit, vor allem ohne jedes Anzeichen irgendeiner triumphalen Geste. Natürlich, warum hätte Nahles auch triumphieren sollen? Noch immer hängt ihre Partei tief im 15- oder 16-Prozent-Loch fest. Aber man hat Nahles in der Vergangenheit bei ähnlichen Anlässen auch schon mal anders erlebt. Die Generalsekretärin aber hat sie längst abgelegt.

Attacken aus dem Hinterhalt

Möglicherweise hat die aufreibende Zeit als Parteichefin die Persönlichkeit Nahles noch einmal gefestigt. In den letzten knapp zwölf Monaten hat sie sich schon so viele Blessuren zugezogen, wie es auch für einen SPD-Vorsitzenden untypisch ist – es sei denn, man heißt Martin Schulz. Doch Nahles kämpft. In den letzten Wochen dann die beiden Attacken aus dem Hinterhalt. Ich räume ein, wen immer Gerhard Schröder zu seinen Gegnern zählt, der hat zunächst einmal meine unbeschränkte Sympathie. Dass Gabriel mal in diese, mal in die andere Richtung austeilt, ist an sich keine Neuigkeit – aber ob es spurlos an Nahles vorbeigegangen ist? Wahrscheinlich nicht.

Wird Nahles Erfolg haben? Wird sie die SPD wieder in Richtung und vielleicht sogar über die 20-Prozent-Marke führen? Wird sie gar als nächste Kanzlerkandidatin ins Rennen gehen? Inhaltlich gibt es an dem jüngsten sozialpolitischen Vorstoß vieles auszusetzen. Ganz generell gilt, dass sich die SPD immer wieder selbst fragen muss, welche Wähler sie eigentlich wo abholen und wie erreichen möchte. Doch inzwischen weiß man besser, wofür Nahles stehen möchte, und man kann sich nahezu sicher sein, dass sie mit ihrer Partei noch lange nicht fertig ist, sondern jetzt erst beginnen möchte.    

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