Der Fall Özil

Die beiden deutschen Nationalspieler wurden gnadenlos ausgepfiffen – lautstark und bei jeder Ballaktion, die sie hatten. Das habe weh getan, gaben sie anschließend der Öffentlichkeit zu verstehen. Es half auch nichts, dass der Bundestrainer sein Unverständnis zu erkennen gab und sich hinter seine Schützlinge stellte. Das Publikum wollte den beiden seine Meinung geigen.

Ihre Namen: Timo Werner und Mario Gomez. Ihr Vergehen: Der eine spielt bei einem Verein, der in der Fanszene abwertend der „Brauseclub“ genannt wird. Obendrein hatte er kurz vorher eine ziemlich dreiste Schwalbe in einem Bundesligaspiel begangen, die auch noch zu einem Elfmeter führte, den er selbst verwandelte. Der andere stand immer schon im Verdacht, mit seinen „Haaren schön“ etwas schnöselig daherzukommen. Außerdem hatte er in einem EM-Vorrundenspiel mal eine Chance versemmelt, von der 100 Prozent der pfeifenden Fans glauben, sie hätten sie  mit verbundenen Augen locker in die Kiste gehauen (bzw. in diesem Fall geköpft). Seitdem galt Gomez im Nationaltrikot immer als jemand,  der neben sich stand. Fans mögen so etwas nicht.

Ach ja, und dann war da noch Stefan Effenberg. Effenberg hat bei seinem Länderspieldebüt wahrscheinlich das lauteste Pfeifkonzert hervorgerufen, das jemals während eines Spiels der deutschen Nationalmannschaft zu hören war. Sein größtes Problem: Er war Stefan Effenberg. Zugegeben: Gleich zu Beginn seiner Karriere hatte er mit einigen haltlosen Sprüchen kräftig an der Marke „Effe“ gearbeitet. Zudem war er kurz vor seinen ersten Länderspieleinsätzen zu den Bayern gewechselt und hat es dann mit den Sprüchen erst recht nicht sein lassen können.  Aber irgendwie stand die Ablehnung, die ihm auf den Tribünen entgegenschlug, in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem, was man ihm ankreiden konnte.

Das Publikum pfeift

Werner, Gomez, Effenberg (und sicherlich der eine oder andere mehr): Sie alle hatten bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt Reizpunkte gesetzt, die beim Publikum nicht gut ankamen; manchmal wirkten mehrere Faktoren zusammen und verstärkten sich gegenseitig. Jeder Fall ist anders gelagert, mindestens eines aber eint sie alle: Keiner von ihnen wurde ausgepfiffen, weil er einen ausländischen Hintergrund hatte – auch Gomez nicht. Und noch etwas: Fair war das ganze nicht. Im Gegenteil, die Atmosphäre war ziemlich hasserfüllt. Den Spielern hat das alles – vorsichtig sagt – nicht gefallen, selbst einem Effe nicht.

Was das für den Fall Özil/Gündogan bedeutet? Natürlich bedeutet es eines nicht: dass es in den deutschen Stadien bzw. im deutschen Fußball keinen Rassismus und keine Fremdenfeindlichkeit gäbe. Die gibt es, leider. Ganz sicher haben einige xenophobe Kackbratzen die Gelegenheit nur zu gerne genutzt, endlich einmal im Chor mit anderen Fans Spieler auszupfeifen, die sie wegen ihrer Herkunft immer schon auf dem Kieker hatten – weil sie in ihren Augen keine „richtigen“ deutschen Nationalspieler sind.

Rassismus in den deutschen Stadien?

Und dennoch: Wenn man die Pfeif- und Zuneigungshistorie der deutschen Nationalmannschaft in den letzten 20 Jahren genauer betrachtet, dann gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Fangemeinde deutsche Nationalspieler mit ausländischen Wurzeln kritischer betrachten würde als Spieler aus Ostwestfalen oder von der Schwäbischen Alb. Pfiffe oder offene Ablehnung gegenüber Boateng, Khedira, Can, Rüdiger oder anderen Spielern sind nicht bekannt. Ebenso wenig ist bekannt, dass ein Spieler wegen seiner Abstammung für ein schlechtes Spiel verantwortlich gemacht worden ist. Es ist übrigens auch nicht bekannt, dass Özil sich in dieser Hinsicht schon einmal beklagt hätte. Die pfeifenden Fans im Stadion hat er – bzw. sein Beraterteam – interessanterweise auch in den drei Tweets nicht attackiert. Aber dazu später mehr.

Am Anfang waren die Bilder

Man kommt also um eine ziemlich simple Erkenntnis nicht herum: Am Anfang waren die Bilder aus London. Ohne die Posiererei mit Erdogan gäbe es den Nationalspieler Özil noch immer. Ohne die Aufwartung gegenüber dem türkischen Präsidenten hätte das Publikum in Leverkusen zwar auch gepfiffen – aber ausschließlich wegen der beunruhigenden Leistung im Vorbereitungsspiel gegen Saudi-Arabien. Ohne die inszenierte Wahlkampfhilfe würden wir jetzt auch keine Rassismusdiskussion führen. Die führen wir jetzt. Die andere Diskussion hingegen, inwieweit Spieler sich von Staaten und Staatschefs einspannen lassen dürfen, die den Menschen elementare Grundrechte vorenthalten, wollen Özil und sein Team gar nicht erst zulassen. Womit wir dann bei den drei Tweets und den öffentlichen Reaktionen darauf wären.

Die ersten Überschriften, nachdem die Tweets in der Welt waren, gingen etwa in die Richtung, dass es jetzt nur Verlierer gebe. Dem kann man sich anschließen. Und sagen wir ruhig, was jetzt ohnehin state of the art ist: Das Krisenmanagement von Grindel, Bierhoff und Co. war einigermaßen verkorkst. Die in diesem Urteil ziemlich sicheren Kritiker müssen zwar glücklicherweise nicht die Frage beantworten, was der DFB an welcher Stelle anders hätte tun sollen bzw. ob man denn vor der WM nun zu hart oder zu weich gegenüber Özil und Gündogan gewesen wäre. Aber dass die Dinge jetzt da sind, wo sie sind, ist sicherlich keine Glanzleistung der DFB-Verantwortlichen. Vermutlich hätte sich der DFB auch während des Ausflugs nach Russland mindestens einmal den zwar nur vereinzelten, aber wahrnehmbaren rassistischen Ausbrüchen im Netz entgegenstellen müssen.

In Teilen infam

Rechtfertigt aber dieses Versäumnis die Twitter-Attacke von Özil bzw. von seinen Beratern? Ganz sicher nicht. Je häufiger man die Tweets liest, desto mehr könnte man annehmen, dass sie Teil einer professionellen Kampagne sind. Bringen wir es auf den Punkt: Die Schuldzuweisungen sind in Teilen infam, das Negieren jeder eigenen Verantwortung macht sprachlos, die Argumentation wackelt an allen Ecken und Enden. Genügend Menschen mit türkischen Wurzeln haben bereits das Offenkundige gesagt: dass die Liebe zum Land der Eltern oder Vorfahren keineswegs bedeutet, dem autoritären Herrscher für Propagandazwecke zur Verfügung zu stehen. Özils Berater gehen hierauf nicht ein, suchen nicht einmal um Verständnis zu werben, es ist, wie es ist, basta! Das war der erste Tweet.

Der zweite Tweet befasst sich u.a. mit den Medien, denen Özil mehr oder weniger pauschal vorwirft, sie hätten das Ausscheiden der deutschen Mannschaft auf Özils Herkunft zurückgeführt. Außerdem geht Özil auf das Verhalten seiner Sponsoren ein, und wenn er Lothar Matthäus‘ Begegnung mit Putin erwähnt, möchte man ihm zumindest etwas Verständnis entgegenbringen. Die Stigmatisierung der deutschen Medien aber  – warum hat er die Bild-Zeitung nicht namentlich genannt? – passt zum allgemeinen Stil seiner Auslassungen: Schuld haben die anderen, für Differenzierungen ist kein Platz.

Ein leichtes Opfer

Der dritte Tweet widmet sich dann fast ausschließlich der Person Reinhard Grindel, und die Vehemenz mit der auf ihn eingeschlagen wird, während andere Personen gar nicht erwähnt oder in ein positives Licht gerückt werden, lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Das Team um Özil braucht ein leichtes Opfer, eines, das keinen allzu guten Ruf in der Öffentlichkeit genießt und das es deshalb den Menschen leicht macht, sich mit Özil zu solidarisieren. Der Sportfunktionär und Ex-CDU-Politiker Grindel fällt in dieses Schema. Er wird von Özil mehr oder weniger deutlich als Rassist gebrandmarkt – alleine das ist ungeheuerlich, egal was man von der Leistung Grindels als DFB-Präsident halten mag. Auch wird Grindel vorgeworfen, er habe für das Ausscheiden der deutschen Mannschaft bzw. für die schlechten Leistungen Özil verantwortlich gemacht. Dies hat Grindel nicht getan. Er hat den Wunsch, Özil möge sich erklären, vielleicht schlecht getimt, aber das ist etwas anderes, als Özil zum Sündenbock zu erklären.

An einen Oliver Bierhoff hat sich das Team Özil offenbar nicht herangetraut, dabei war es der Teammanager, der in einem Interview, von dem er sich später wieder distanzierte, erklärt hatte, man hätte Özil möglicherweise zu Hause lassen sollen. Statt dessen zielen alle Attacken auf Grindel. Auch den Politiker Grindel möchte man diskreditieren; Äußerungen zur Multikulturalität möchte Özil ihm nicht „verzeihen“. Weiß das Team rund um Özil aber, dass es im Oktober 2010 Angela Merkel war, die Multi-Kulti „für absolut gescheitert“ erklärte?

Das Ausscheiden eines verdienten Nationalspielers infolge von ihm erhobener Rassismusvorwürfe ist keine triviale Sache. Man möchte diesem Spieler auch zubilligen, dass er Verletzungen und Kränkungen erlitten hat, die diesen Entschluss verständlich machen. Vielleicht ist das der Grund, warum zunächst so viele öffentliche Kommentare Özil gewogen waren und die problematischen bis skandalösen Passagen seiner Tweets nicht wahrnehmen wollten. Fast schien es, als schwang in einigen Fällen gar eine gewisse Genugtuung mit: Wir haben es doch immer gewusst, natürlich gibt es Rassismus, überall, und erst recht im Fußball.

Noch immer verbreitet

Rassismus oder mindestens rassische Diskriminierung ist noch immer weit verbreitet – bei der Wohnungs- und Jobsuche, aber auch sonst im täglichen Leben, in der Schule, bei Ämtern und Behörden, in Geschäften, auf der Straße. Wir müssen darüber diskutieren, wir müssen es uns ins Bewusstsein rufen. Soll man aber tatsächlich den Rücktritt und die vergifteten Tweets von Mesut Özil als Anlass nehmen, dies zu tun? Auch wenn die Tweets im Ton und in der Sache moderater wären: Was lehrt uns der Fall Özil wirklich? Steht er exemplarisch für die Erfahrungen anderer Menschen mit Migrationshintergrund?

Außenminister Heiko Maas  hat vielleicht auch dies im Blick gehabt, als er in Frage stellte, ob der Fall „eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland“. Dass ausgerechnet Autokraten-Freund Gerhard Schröder Maas vorwarf, sich in unerträglicher Weise geäußert zu haben, wo man doch glaubte, in Sachen „unerträgliche Äußerungen“ könne es niemand mit dem Alt-Kanzler aufnehmen, ist vorerst die letzte Pointe in dieser ganzen traurigen Angelegenheit gewesen.

 

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