Türkei und EU – Auszeit notwendig

Türkei-EUAls der türkische Präsident Erdogan nach dem Putschversuch im letzten Sommer davon sprach, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, war die Reaktion der EU unmissverständlich: Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara wären in diesem Falle unverzüglich beendet, denn ein Land, das die Exekution durch Strick, Gewehr oder ein anderes Instrument in sein Gesetzeswerk aufnehme, könne kein Mitglied der Europäischen Union werden. Wie weit die Türkei gegenwärtig von der Todesstrafe noch entfernt ist, lässt sich von außen nur schwer beurteilen. Wie dicht dran sie an der dauerhaften Implementierung eines autokratischen Herrschaftssystems ist hingegen schon.

In der vorvergangenen Woche hat das türkische Parlament mit der erforderlichen Mehrheit eine Verfassungsänderung beschlossen, die die exekutiven Befugnisse des Präsidenten signifikant erweitern, die Beteiligungsmöglichkeiten des Parlaments hingegen empfindlich beschneiden würde. Das Volk muss dieser Verfassungsänderung noch zustimmen; ein Selbstläufer ist das nicht. Doch was schon im Vorfeld der Parlamentsabstimmung zu beobachten war – staatlich entfachte Propaganda und massive Einschüchterung derjenigen, die abstimmen durften –, wird sich in Zeiten des Ausnahmezustands auch vor und während des Referendums wiederholen. Ein Sieg Erdogans ist unter diesen Umständen das wohl wahrscheinliche Szenario.

Zeit für ein Signal

Und dann? Kann die EU nach der Inthronisierung Erdogans zum Dauerherrscher immer noch an einer Sache festhalten, die mehr und mehr zu einer Fiktion geworden ist? Muss sie dann nicht endgültig konstatieren, dass ein Land, welches die Bürger- und Menschenrechte erheblich verletzt und nun auch die Gewaltenteilung weitgehend außer Kraft setzen will, kein Mitglied der EU werden kann – und zwar schon deswegen nicht, weil auch die Kopenhagener Kriterien dauerhaft verletzt werden, die aber eigentlich erfüllt sein müssen, ehe die Verhandlungen überhaupt beginnen dürfen? Es spricht einiges – nein: vieles – dafür, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen, sobald die Verfassungsänderung durchgehen sollte. Europa muss sich in der augenblicklichen Weltlage darauf besinnen, was es stark macht und was es von anderen Mächten abhebt. Vielleicht ist dies der Augenblick, um ein Signal nach innen und nach außen zu setzen. Das Signal lautet: Die EU ist geschlossen genug, die eigenen Werte nicht preiszugeben, und sie ist selbstbewusst genug, dies auch nach außen zu dokumentieren. Die Botschaft der EU kann nur heißen: Eine Türkei, so wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat, wird kein Mitglied der Europäischen Union werden können.

Kein Aus für immer

Aber würde das Erdogan nicht womöglich in die Hände spielen? Und weist die Opposition nicht ständig darauf hin, wie wichtig es sei, an der Beitrittsperspektive festzuhalten, könne doch nur so ein gewisser Druck auf die Türkei aufrechterhalten und den Gegnern Erdogans Hoffnung gemacht werden? Ich bezweifle, dass Erdogan ein Aus der Verhandlungen propagandistisch wirklich für sich nutzen kann, auch wenn er es versuchen wird. Auch die Drohung, das Flüchtlingsabkommen zu kündigen, wird sich als leere Drohung erweisen. Das zweite Argument sollte man ernster nehmen, allerdings würde ein Einfrieren der Verhandlungen nicht bedeuten, dass die Türkei für alle Zeiten außen vor bleiben muss. Führen wir uns doch einfach noch einmal vor Augen, was gegenwärtig passiert: Verbot von Zeitungen und anderen oppositionellen Medien; Inhaftierung von Journalisten, Richtern und Abgeordneten der HDP; eine Hexenjagd auf jeden, der im Verdacht steht, mit der Gülen-Bewegung auch nur im Entferntesten etwas zu tun zu haben; Hunderttausende von Entlassungen und Berufsverboten; Gefängnisse, die überquellen, weil Zehntausende aus Armee und Sicherheitsdiensten nach dem Putsch verhaftet worden sind. Habe ich das richtig verstanden? Das alles zählt gar nicht so viel, nur wenn die Todesstrafe kommt, dann zieht die EU Konsequenzen? Einleuchtend ist das nicht. Übrigens, wenn die türkische Opposition von Angela Merkel verlangt, sie solle sich jetzt, in dieser Situation, für einen Beitritt der Türkei in die EU einsetzen, spricht dies auch nicht gerade für ihr politisches Urteilsvermögen.

Keine Brücken hochziehen, aber…

Ja, es stimmt, wir dürfen die Brücken zur Türkei niemals hochziehen. Wir wollen und müssen die Türkei noch immer als einen Verbündeten und als ein befreundetes Land betrachten, als einen NATO-Alliierten von strategisch immenser Bedeutung, als einen wichtigen Wirtschafts- und Handelspartner. Millionen Türken oder Menschen türkischer Herkunft, die in der Europäischen Union leben, Abermillionen Freundschaften. Die Türkei ist ein Teil von uns. Doch all das ändert nichts: Die EU darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Sie muss ein Zeichen setzen.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb

 

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