Der Westen hat Schuld – die Welt des Michael Lüders

Michael_Lüders_-_das_blaue_sofa_(6319764625)_(cropped)Wenn man seine Verachtung gegenüber den Medien zum Ausdruck bringen will, dann kann man dies auf die brachiale Art und Weise tun und bei einer Pegida-Demonstration „Lügenpresse!“ schreien. Man kann allerdings auch eine subtilere Methode wählen und den etablierten Journalisten vorwerfen, sie seien allesamt Feinbildern und Klischees auferlegen und würden den Sachverhalt deswegen – leider, leider – verkürzt und verfälschend darstellen. Für die zweite Herangehensweise hat sich Michael Lüders entschieden. Der Sachverhalt, um den es geht, ist der Nahe und Mittlere Osten im allgemeinen und der Krieg in Syrien im besonderen.

Überzeugung oder PR-Strategie?

Michael Lüders will Bücher verkaufen und Beratungsleistungen an den Mann bringen. Um beides erfolgreich tun zu können, hat er sich ein Image als Querdenker angelegt. Sein „Querdenkertum“ in Kombination mit Orts- und Kulturkenntnissen des Nahen Ostens – so seine unausgesprochene Botschaft – würden ihn mehr als alle anderen Experten dazu qualifizieren, die Dinge in Syrien und Umgebung unvoreingenommen zu betrachten und sie deshalb verstehen und einordnen zu können. Verstehen heißt bei ihm: verurteilen. Seine Kernthese geht schon aus einem seiner Buchuntertitel hervor: „Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“. Überzeugung oder PR-Strategie? Vermutlich beides.

Dass Michael Lüders eine abweichende Meinung von der vieler anderer Experten vertritt, ist selbstverständlich nicht das Problem. Im Gegenteil: Gerade der Syrien-Krieg zwingt uns dazu, Analysemuster in Frage zu stellen und kontrovers über Ursachen und Lösungen zu diskutieren. Ein Andreas Zumach – inhaltlich nicht weit weg von Michael Lüders – ist eine unersetzbare Stimme in der Syrien-Berichterstattung. Das Problematische an Michael Lüders ist seine Herangehensweise: die Dreistigkeit, mit der er andere Meinungen karikiert, die stupide Einseitigkeit, mit der er komplexe Zusammenhänge beschreibt, die Rücksichtlosigkeit, die ihn dazu bringt, auch mit Lügen zu operieren.

Überall Feindbilder

Um sich mit abweichenden Meinungen und Deutungsrahmen nicht auseinandersetzen zu müssen, spricht Lüders ihnen jede Objektivität ab. Die westliche Presse, so Lüders, brauche Feindbilder, und diese Feindbilder seien Assad, der Iran und Russland, vor allem aber Assad. Da man sich auf dieses Feindbild nun einmal eingestellt habe, sei man auch nicht mehr imstande, objektiv zu berichten. Deswegen würden die etablierten Medien alle Grausamkeiten des Syrien-Krieges einseitig Assad zusprechen und dabei vollkommen übersehen, dass die Opposition aus Dschihadisten bestehe und diese ihrerseits für viele Verbrechen verantwortlich seien. Und wenn die Presse schon richtigerweise über die Verbrechen des Regimes berichtet, wie etwa in Aleppo, dann, so Lüders Vorwurf, vermeide sie es, über Mossul zu schreiben, obwohl doch in der irakischen Metropole augenscheinlich – so muss man Lüders verstehen – das gleiche geschehe wie in Aleppo, nur dass hier die USA unmittelbar verwickelt sind. Überhaupt die USA: Sie erst haben mit dem Irak-Krieg das Unheil über die Region gebracht, was aber hierzulande kaum ausgesprochen werde (so Lüders ganz am Schluss der Sendung „Anne Will“ am 9. April). Schon im Verlaufe der iranischen Atomkrise hatten sich Medien und Politik in Deutschland, Lüders zufolge, vor den amerikanischen Karren spannen lassen, der unter Obama nur ein Ziel gekannt habe: Krieg gegen den Iran und den Sturz des Mullah-Regimes.

Natürlich, in einem Punkt hat Lüders nicht ganz Unrecht: Berichterstatter lassen sich mitunter von Feindbildern leiten und wenn schon nicht von Feindbildern so doch von festgefügten Interpretationsmustern. Lüders diagnostiziert allerdings eine Art Massenhypnose, von der fast alle Journalisten und offenbar auch Wissenschaftler befallen sind. Das Problem an der Sache: Mit der medialen Wirklichkeit in Deutschland hat dies wenig zu tun. Wenn Lüders schreibt, dass die Medien unreflektiert die Opposition gegen Assad heiligsprechen, ihre islamistischen bzw. dschihadistischen Strömungen leugnen oder verharmlosen, ist dies schlicht und einfach erfunden. Dass die Opposition sich radikalisiert hat, dass Al-Quaida-Ableger wie die ehemalige Nusra-Front (militärische) Allianzen mit anderen Oppositionsgruppen eingegangen sind, dass mehrere Anti-Assad-Gruppierungen pluralistische und säkulare Vorstellungen ablehnen, ist kein Expertenwissen von Michael Lüders, sondern ein Allgemeinplatz, der allen Berichterstattern bewusst ist; nachzulesen in zahlreichen Artikeln und Beiträgen, die auch in den etablierten Medien erschienen sind. Freilich berichten diese Medien und Journalisten häufig anders, als dies die syrischen und russischen Staatsmedien tun, die jede bewaffnete Opposition als terroristisch brandmarken. Auch Michael Lüders tut Letzteres übrigens. Für ihn ist dies eine unumstößliche Tatsache; wer sie nicht teilt, der sitzt Feindbildern auf.

Amerikahörige Berichterstattung?

Geradezu absurd wirken Lüders Versuche, den Medien pauschal eine amerikahörige Berichterstattung vorzuwerfen. Wenn er allen Ernstes behauptet, über Amerikas Verantwortung für die Gewalt und die Kriege im Mittleren Osten werde nur leise gesprochen, scheint er in einer Parallelwelt zu leben. Kaum eine Berichterstattung über den IS kommt ohne den Hinweis auf die Folgen der US-Invasion im Irak aus, ja meistens wird der Zusammenhang zwischen Irakkrieg und sunnitischem Terror als so zweifelsfrei dargestellt, dass entlastende Argumente zugunsten der USA fast ein wenig untergehen. Von blinder Gefolgschaft im Zusammenhang mit der Krise um das iranische Atomabkommen kann erst recht keine Rede sein. Boshaft und zugleich lachhaft sind Lüders damalige Vorwürfe, die deutsche Politik und die deutschen Medien hätten einem Krieg gegen das Feindbild Iran das Wort geredet.

Mythos Intervention

Dass Lüders einen betont amerikakritischen Ansatz wählt, ist weder unredlich noch ungewöhnlich. Das Ausmaß seiner Einseitigkeit ist es schon. Sein zweiter Vorwurf neben jenem, die Medien lassen sich von Feindbildern leiten, lautet, dass der Westen die Hauptverantwortung für den Krieg in Syrien (und das Chaos im Nahen und Mittleren Osten) trage. Auf Biegen und Brechen will und muss Lüders diesen Vorwurf am Leben erhalten. Dies hat zur Folge, dass er die „Intervention“ des Westens bzw. der USA in Syrien nicht nur als wesentlichen Grund für die Dauer des Krieges anprangert, sondern sie zugleich in eine Reihe mit den militärischen Interventionen in Afghanistan und im Irak stellt.

Man muss sich gerade Letzteres noch einmal vor Augen führen: Eine militärische Intervention mit Hunderttausenden eigener US-Soldaten (wie im Irak) setzt Lüders gleich mit der Bewaffnung und der Unterstützung von Aufständischen – einer Bewaffnung, die zu keinem Zeitpunkt so massiv und konsequent erfolgt ist, dass sie Assads Regime gefährden konnte. Diese Gleichsetzung ist mindestens gewagt, im Grunde aber abwegig. Abgesehen davon, dass sich Lüders durch seine pauschale Diskreditierung der Opposition als islamistisch gar nicht die Frage stellen will, ob eine (auch militärische) Unterstützung der Opposition nicht womöglich legitim und notwendig sein könnte: Er braucht den Mythos der amerikanischen Intervention und des versuchten Regime-Change, um sein ganzes Thesengebäude aufrechtzuerhalten. Die eigentliche Frage, ob der Westen sich nicht vielmehr durch Nicht-Handeln schuldig gemacht habe, will und kann Lüders gar nicht beantworten, denn in seiner Welt ist eines nicht hinterfragbar: dass der Westen durch Interventionen die Schuld an der ganzen Misere im Nahen und Mittleren Osten trägt. Wenn es eine Intervention gar nicht gegeben hat, dann muss sie eben behauptet werden.

Chemiewaffeneinsatz: Probleme mit der Wahrheit

Natürlich leugnet Lüders nicht die Verbrechen Assads und spricht auch gerne von der Verantwortung der anderen Mächte (Russland, Iran, Saudi-Arabien). Im Zweifel aber legt er alle Argumente so aus, dass sie entlastend für Assad und belastend für die Opposition wirken. Es ist richtig, dass der Chemiewaffeneinsatz im August 2013 nicht mit letzter Beweiskraft Assad zugeschrieben werden kann. Es ist aber unbestritten, dass fast alle Indizien für das Regime als Urheber sprechen und dass auch der UN-Menschenrechtsrat und die OPCW (Organisation for the Prevention of Chemical Weapons) davon ausgehen, dass die Schuld mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Assad zu finden ist. In der Sendung Markus Lanz vom 5. April aber behauptet Lüders, es sei inzwischen klar, dass diese chemischen Waffen bzw. die notwendigen Komponenten durch den türkischen Geheimdienst ins Land geschmuggelt und die Waffen dann von den Aufständischen eingesetzt worden seien. Ja, mehr noch: Der Chefredakteur des Cumhuriyet Can Dündar habe damals über diesen Schmuggel berichtet und sei deswegen von der türkischen Justiz wegen Geheimnisverrats angeklagt worden.

Zwei Lügen von Lüders, die letzte besonders dreist: Dündar, inzwischen im deutschen Exil, ist damals in der Tat angeklagt worden, weil er über Waffenschmuggel des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hat – doch ging es dabei nie um chemische Waffen. Er selbst hat die Behauptungen von Lüders deswegen auch prompt von sich gewiesen. Lüders setzt eine Lüge ein, um seine Argumente zu stützen – vermutlich in der sicheren Annahme, bei Markus Lanz würden weder der Moderator noch die anderen Gäste widersprechen können. Und weil er weiß, dass provokante Thesen gut für den Absatz seiner Bücher sind. Inzwischen hat Lüders bei nachdenkseiten.de eingeräumt, dass es falsch war, den Namen Dündar zu nennen; die Cumhuriyet aber habe durchaus über den Chemiewaffenschmuggel berichtet. Wenn Lüders den gravierenden, ja beispiellosen Vorwurf in die Welt setzt, die Türkei habe den Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten, sollte er dann nicht sorgfältiger mit den Fakten umgehen, sehr viel sorgfältiger? Schade, manche Argumente von Lüders sind diskussionswert und wichtig. Durch seine Vorgehensweise aber hat er sich als Experte diskreditiert.

 

 

 

ien einseitig dann ist es eine böswillige Verzerrung der Berichterstattung

 

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