G20 – die Gewalt und ihre Folgen

Beginn bis Ende der Welcome To Hell Proteste
Beginn bis Ende der Welcome To Hell Proteste

Knapp vier Wochen nach dem G20-Gipfel von Hamburg fällt auf, dass sich so viel zunächst einmal gar nicht geändert hat. Das betrifft beispielsweise die Parteien und ihre Umfragewerte: Wer sich vorher ein Gipfelszenario hätte ausmalen sollen, das Angela Merkel, ihrer Partei und ihrer Regierung Schaden zufügen könnte, wäre wahrscheinlich bei dem gelandet, was sich dann genauso in der Realität zugetragen hat: eine Stadt im Belagerungszustand, hochgradig verärgerte Hamburger Bürger, gewalttätige Eskalationen ungekannten Ausmaßes, Gipfelergebnisse, die im allgemeinen als dürftig beschrieben werden, und über allem der nagende Zweifel: War es das wirklich wert? Die Sache hat nur einen Haken: Die Werte der CDU sind ausweislich verschiedener Meinungsumfragen keineswegs gesunken. Geschadet haben die Bilder von Hamburg der Kanzlerin ganz offenkundig nicht. Geschadet haben sie anderen.

Die Parteien und der G20-Salat

Überraschend ist das unverändert starke Abschneiden der Union aber nur beim ersten Hinsehen, denn wenn die eine Partei an Zustimmung verliert, müssen andere schließlich in den Umfragen zulegen. Nur wer hätte das sein sollen? Die Linke etwa, die sich heillos in der Frage verheddert hat, wo Gewalt anfängt und wann sie legitim ist, dabei eine klare Positionierung verweigert und insgesamt eine so schillernde Figur abgibt wie neulich auf ihrem Bundesparteitag? Die SPD, die in einem albernen politischen Manöver während des Gipfels den gesamten Sinn und Zweck ebenes jenes Gipfels in Frage gestellt hat, derweil die Hamburger Genossen sich davon unbeeindruckt gaben und noch Tage später an der Legende strickten, es habe seitens der Polizei und damit auch seitens der Hamburger Politik keine Fehler gegeben? Die AfD, die sich vom rechten Straßenradau immer nur halbherzig distanziert hat und zum G20-Gipfel ohnehin inhaltlich nie irgendetwas beizutragen hatte? Oder etwa die Grünen, die aber selbst vom Dieselabgasskandal nicht zu profitieren scheinen und deren inhaltliche Anliegen in der G20-Berichterstattung zwangsläufig untergehen mussten? Nein, keine dieser Parteien hat Nutzen aus dem Gipfel ziehen können.

Dass G20 in Hamburg nicht als Fehlschlag in die allgemeine Wahrnehmung eingegangen ist, mag auch damit zu tun haben, dass kaum über die Inhalte der Gipfelkritik berichtet worden ist. Es griffe allerdings zu kurz, dafür die Medien zu schelten. Denn es sind doch vor allem zwei Gründe, derentwegen die inhaltlichen Anliegen der Kritiker nicht durchgedrungen sind: die Gewaltbereitschaft vieler Gipfeldemonstranten und die unklare Stoßrichtung der Kritik.

Gipfel und Gewalt

Wer überhaupt auf den Gedanken kommt, dass Gewalt gegen Sachen und Personen in einem demokratischen Rechtsstaat legitim sein kann, sollte doch mindestens dies zur Kenntnis nehmen: Die Gewalt hat diesen Gipfel so sehr beherrscht, dass sämtliche friedliche Demonstrationen und inhaltliche Debatten überschattet worden sind. Die Legitimität der Anti-G20-Proteste ist durch die Bilder aus dem Schanzenviertel erheblich in Frage gestellt worden, zumal es eine saubere Trennung – hier das (gar nicht so kleine) Lager der Randalierer, dort das (größere) Lager der friedlichen Demonstranten – häufig nicht gegeben hat. In diesem Zusammenhang spielt es zunächst keine Rolle, dass die Polizei Fehler begangen hat – die Gewaltbereitschaft der Demonstranten war von vornherein ebenso ausgeprägt wie der Unwille mancher Demonstrationsveranstalter, sich von Gewalttaten schon im Vorfeld klar abzugrenzen. Was anderes steckt hinter der Zerstörungsorgie als der Wunsch, mal so richtig auf den Putz zu hauen und der linken (oder auch nicht linken) Gewaltikonografie neue Motive zu liefern? Etwa die hier und da artikulierte „Sorge“, friedliche Demonstrationen würden die herrschenden Klassen nicht empfindlich genug treffen und daher wirkungslos verpuffen, weswegen einige Steine, Flaschen und Molotowcocktails eben schon fliegen müssten, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen? Gewalt als Mittel zum Zweck wäre schon schlimm genug. In Hamburg aber war sie der Zweck selbst, auch wenn sich dies viele Protagonisten der extremen Linken noch immer nicht eingestehen wollen. Aus dem Ruder gelaufen ist nichts – es war alles so angelegt.

Fantasielosigkeit

Das Inkaufnehmen von Gewalt bei Demonstrationen ist immer auch ein Ausdruck unfassbarer Fantasielosigkeit. Weder die Formulierung der eigenen Forderungen (so es sie gibt), noch die Ausdrucksformen des Protestes müssen in irgendeiner Form kreativ und durchdacht sein, wenn auf die Karte Gewalt gesetzt wird. Hamburg hätte beeindruckende Bilder produzieren können – von zehntausenden Menschen, die auf unterschiedliche Weise ihre Anliegen, ihre Forderungen, ihre Erwartungen, ihre Kritik, ihren Ärger, ihren Spott, ja auch ihre Wut zum Ausdruck bringen. Im Gedächtnis haften geblieben aber sind brennende Barrikaden und vermummte Gestalten. Weiß man übrigens in jenem Umfeld, das Gewalt gutheißt oder sie zumindest in Kauf nimmt, das Bilder wie aus Hamburg immer auch Propagandamaterial für autoritäre Regime wie in Moskau und Ankara („Seht her, die Polizei geht dort mit der Opposition noch härter um als wir es tun“) oder in Peking und Riad („Soviel Chaos lassen wir auf unseren Straßen nicht zu“) liefern? Man könnte es wissen, natürlich. Aber möglicherweise sind einem die Unterschiede zwischen den politischen Systemen in China und Russland und dem demokratischen System hierzulande nicht allzu geläufig – und auch nicht allzu wichtig.

Sündenbock G20

Das leitet über zu dem zweiten Grund, warum die Botschaften der (friedlichen) Demonstranten kaum gezündet haben. Wer genau war der Adressat der Forderungen und Einwände? Die G20 setzt sich zusammen aus 19 nationalen Regierungs- und Staatschefs (plus der EU), von Justin Trudeau bis Xi Jinpeng, es ist kein „selbsternannter Klub der Regierenden“, wie es bei Kritikern von G20 heißt, sondern ein Gremium, in dem harte Interessensgegensätze aufeinanderprallen – weswegen der Regelungsbereich von G20 auch eher gering ist. Ist es sinnvoll, bei einem solchen Gremium alle Kritik abzuladen, die man der gegenwärtigen globalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung entgegenbringt? Leuchtet es ein, keine Unterschiede zu machen zwischen Donald Trump, Emmanuel Macron und Wladimir Putin, sondern pauschal der G20 die Verantwortung für Krieg, Elend, Klimawandel und Ungleichheit zuzusprechen? Vor allem aber: Will man wirklich den G20-Gipfel als solchen ablehnen und damit das einzige Gremium abschaffen, das in einer überschaubaren Größe die wichtigsten Staaten unterschiedlicher Kontinente zusammenbringt? Auf den Gipfeln wird eben nicht nur folgenlos diskutiert; die Staaten gehen auch verpflichtende Zusagen ein, die zwar nicht einklagbar sind, aber dennoch eine gewisse Bindekraft haben. Nebenbei kann durch den persönlichen Austausch bilaterales Vertrauenskapital zwischen den Regierungschefs aufgebaut werden – in unsicheren Zeiten keine schlechte Sache. Die Gewalttäter von Hamburg interessiert so etwas nicht. Wer umstandslos G20 abschaffen möchte, spielt mehr oder weniger ihr Spiel mit.

Kritik häufig unterkomplex

Wie so häufig ist die Kritik an tatsächlich beklagenswerten Zuständen in der Welt auch im Fall von G20 häufig zu simpel und zu unterkomplex ausgefallen – ein Grund, weswegen die Diskussion nicht wirklich hat Raum greifen können. Dabei muss den Gipfelteilnehmern tatsächlich kritisch auf die Finger geschaut, müssen Versäumnisse angeprangert und fehlerhafte Entwicklungen attackiert werden. Auch im Nachtrag des Gipfels stellen sich zum Teil dieselben Fragen wie vorher, beispielsweise die, wie die Stimme der afrikanischen Staaten innerhalb der G20 aufgewertet werden kann und warum die Delegationen der einzelnen Regierungen zum Teil vierstellige Größen erreicht haben. Aber auch über Sinn und Unsinn der im Abschlussdokument vereinbarten Ziele müsste viel stärker diskutiert werden. Dies geschieht nicht – den Gewalttätern und ihren Steigbügelhaltern sei Dank!

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*