Dass selbst politisch hochgradig interessierte Menschen Wochen später nicht sagen können, aus welchen inhaltlichen Gründen die FDP das Jamaika-Bündnis eigentlich hat platzen lassen, ist ein Problem für die Liberalen. Im Ohr hat man noch die 200soundsoviel eckigen Klammern, auf die Lindner und Kubicki penetrant hingewiesen haben und die offenkundig für 200soundsoviel noch ungelöste Fragen standen. Doch richtig klar ist die Sache dadurch nicht geworden.
Streitpunkte zugekleistert
Dabei will man der FDP durchaus glauben, dass Union und Grüne im nachhinein die Dinge schöner aussehen lassen, als sie wirklich waren. Wenn CSU und Grüne am Ende wie ein schwerverliebtes Paar wirkten, das lange Zeit nur nicht wahrhaben wollte, wie sehr man eigentlich füreinander bestimmt ist, kann man das als schönen Gag durchgehen lassen, als mehr aber auch nicht. Inhaltliche Streitpunkte zuzukleistern schien auf den letzten Metern der Sondierungsgespräche ein probates Mittel gewesen zu sein. Dadurch aber blieb vieles im Ungefähren.
Ein Beispiel: Union und SPD ringen derzeit äußerst hart um den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Status. Hätte aber nicht in dieser Frage schon längst eine schriftlich fixierte Einigung zwischen Union, FDP und Grünen vorliegen müssen, die auch für die SPD tragbar wäre? Denn dass die Sozialdemokraten sich in diesem Punkt noch kompromissloser geben als die Grünen, ist eigentlich nicht zu erwarten. Offenbar aber gab es diese Einigung nicht, oder wenn, dann nur in Andeutungen, oder aber so formuliert, dass kein Grünen-Parteitag sie jemals gebilligt hätte. Anderes Beispiel: Erinnern wir uns eigentlich noch daran, welche Antwort ein Jamaika-Bündnis eigentlich Herrn Macron auf dessen Pläne zur Reform der Währungsunion geben wollte? Eben nicht.
Welche inhaltlichen Knackpunkte?
In Zeiten, da allerorten bejubelt wird, dass es wieder Unterschiede zwischen den Parteien gibt, hätte man also der FDP durchaus zubilligen können, dass sie aufgrund unüberbrückbarer inhaltlicher Gegensätze ein Jamaika-Bündnis nicht eingehen möchte. Die FDP selbst aber spricht lediglich von fehlendem Vertrauen zwischen den beteiligten Parteien, indirekt auch von den kulturellen Unterschieden und immer wieder von einer Kanzlerin, die niemals Jamaika gewollt habe – nicht hingegen von den konkreten inhaltlichen Knackpunkten. Als Christian Lindner Anfang Dezember bei der Denk-ich-an-Deutschland-Konferenz der Herrhausen-Stiftung und der F.A.Z. eine seiner wie immer meisterlich gedrechselten Reden hielt, ging er auch auf das Thema „Währungsunion“ ein – allerdings nur deswegen, so Lindner, weil die Veranstalter ihn darum gebeten hätten, er selber halte dieses Thema gar nicht für so relevant; vor allem aber sei es schon gar kein Beleg für irgendeinen Rechtsruck der FDP, man wolle einfach nur, dass ein paar Prinzipien in der Euro-Zone gelten, und im übrigen würde man ja Macrons europapolitischen Pläne in vielen anderen Bereichen (Stichwort: Verteidigung) unbedingt unterstützen.
Warum, hat man sich als Zuhörer gedacht, stellt er sich nicht hin und sagt, jawohl in dieser Frage vertreten wir einen dezidiert anderen Standpunkt als die Grünen; sämtliche Schritte, die uns in Richtung „Schuldenunion“ und mehr gemeinsamer Haftung führen, lehnen wir ab, selbst wenn sie von Herrn Macron stammen. In der Jamaika-Koalition, das haben die Sondierungsgespräche gezeigt, wären wir in dieser Frage – wie auch in anderen – niemals auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Und deswegen: Ende der Veranstaltung.
Schwierige Opposition
Offenbar aber sieht Christian Lindner sogar in einer solch relevanten Frage kein allzu großes Problem, weswegen man schon ein wenig rätselt, was den Liberalen eigentlich gerade besonders wichtig ist. Welche Inhalte sind es, die ihnen mehr als alles andere bedeuten? Vor allem aber fragt man sich: Was für Folgen hat es für die FDP und für ihre Rolle als Oppositionskraft, wenn ihr nun das Stigma anhaftet, sie habe die Verantwortung gescheut und wolle offenbar das Land gar nicht regieren? Kann sie überhaupt ein schwarz-rotes Bündnis scharf attackieren, deren Politik als inhaltlich untragbar und womöglich als verantwortungslos geißeln, wenn doch noch für lange Zeit die vorwurfsvolle Frage im Raume stehen wird, warum sie denn nicht selber mitregiere, um auf diese Weise vieles von dem, was sie nun kritisiert, verhindern zu können? Hilft es da der FDP, dass eine schwarz-rote Koalition, die vor allem sozialpolitische Schwerpunkte setzt, eigentlich ein gefundenes Fressen für eine liberale Partei sein müsste?
Problem Neuwahl
Sollte es doch zu Neuwahlen kommen und die Union noch einmal mit Merkel als Spitzenkandidatin antreten, steht die FDP vor einem Dilemma: Erneut darauf zu setzen, dass genügend Wähler eine liberale Partei auch als Oppositionskraft attraktiv genug finden, ist ein ziemliches Risiko. Mit der Aussage in den Wahlkampf zu ziehen, für ein schwarz-gelbes Bündnis offen zu sein, würde allerdings empfindlich an der Glaubwürdigkeit Lindners kratzen (warum jetzt doch mit Merkel?) und obendrein dem Selbstverständnis der Partei, nie wieder Anhängsel Merkels/der Union zu werden, massiv widersprechen. Also vielleicht doch noch mal Jamaika probieren? Man darf gespannt sein, wie sehr die FDP eine neue grüne Führungsspitze (wenn es denn zu ihr kommt) als Beleg für einen grünen Radikalwandel hochjubeln wird.
Wir wissen gegenwärtig nicht genau, was die FDP eigentlich will; wir wissen nicht, ob es Lindner im Alleingang war, der die Jamaika-Gespräche beendete, oder ob der Führungsspitze insgesamt etwas flau im Magen war angesichts der dünnen Personaldecke der Partei. Vielleicht gibt der Dreikönigsparteitag am kommenden Samstag Auskunft über diese und über so manch andere Fragen.
Foto: INSM, https://www.flickr.com/photos/insm/33463104161